Ganz in der Nähe des Berliner Fernsehturms am Alexanderplatz gab es das Café Posthorn. Mitte der Achtziger Jahre trafen sich hier Künstler, Anarchisten, Schwätzer, Studenten und Musiker.
Solch ein Ort. an dem, beinahe zu jeder Tages und Nachtzeit die Möglichkeit bestand, irgend jemanden zu treffen, mit dem sich ein neues Abenteuer erleben ließ, war seinerzeit höchst selten.
Das Posthorn, wegen eines von der Decke herab hängenden Dekoobjektes Tute genannt, lag in der Rathauspassage gleich neben dem Postamt. Ein paar Musiker, die nebenher dazu gezwungen waren, einer normalen Arbeit nachzugehen, fanden in diesem Postamt einen milde gestimmten Arbeitgeber. Diese Musikanten und Tontechniker konnten nach der Arbeit oder während der Pause rüber ins Posthorn schlendern.
Es gab draußen ein paar Tische. Drinnen saß man an der Bar oder an einem Zweiertisch am Fenster. Meistens war die Tute so überfüllt, dass überall die Leute rauchend und ihre Gin Colas nippend herum standen.
Gelegentlich betrat eine kleine Gruppe früher DDR-Punks die Tute. Colonel Major und Esta wirkten unnahbar wie ein weiteres Universum, dass sich in dieser ohnehin vorhandenen Parallelwelt auftat. Parallelwelt, weil sich hier im Posthorn für gewöhnlich eben nicht die durchschnittlichen DDR-Bürger trafen, sondern Vorabexemplare der nicht Mal ein Jahrzehnt später etablierten Gesellschaft neuer Bundesbürger.
Am den Freitagabenden gab es immer eine Schlange vor dem Eingang der Tute. Ihr Betreiber namens Radtke achtete eher lässig darauf, ob seine Gäste wild oder gemäßigt aussahen. Auffällig war, dass sehr junge Leute im Teenagealter bis Anfang zwanzig meistens mühelos Anschluss fanden. Über allen alten und neuen Bekanntschaften schwebte allerdings der Geist der Staatssicherheit wie ein halb durchlässiges schwarzes Tuch.
Wird fortgesetzt..
Pinkfarbenes selbst gefärbtes Hemd, Stoffhosen, silberne Armreifen, Pailletten, silberner Ohrring, dazu mittels Henna gefärbte Haare. Selbst hier im Posthorn, in dem die Gäste für DDR -Verhältnisse zurecht gemacht und individuell aussahen, wirkte Trötsch wie ein tropischer Vogel. Er war Liedermacher, der mit Gitarre an nicht offiziellen Orten auftrat und mit seinen leidenschaftlichen Liedern die bürgerliche angepasste DDR-Gemütlichkeit verspottete. Gab es an einem solchen Auftrittsort ein Klavier, ließ er regelrecht die Fetzen fliegen. Nach einer kleinen, den nötigen Respekt vermissen lassenden Mozartdarbietung, breitete Trötsch am Klavier für sein Publikum eine komplett neue Welt aus. Mozart nannte Trötsch übrigens Wamo, was für Wolfgang Amadeus stand. Trötsch gab sich arrogant und nannte sich selbst ein Universalgenie. Wer ihn in der Tute oder sonst wo kennen lernte, kam eigentlich schnell mit ihm ins Gespräch.
Im Laufe eines solchen Gespräches holte Trötsch ab und zu eine Injektionsspritze aus der Tasche und rammte sie sich in den tätowierten Unterarm. Auf den ersten schockierten Blick wirkte das wie eine sehr schlampig verabreichte Heroininjektion.
Wer nachfragte, erfuhr dann allerdings, dass Trötsch an Diabetis litt und sich regelmäßig Insulin verabreichte.
Das hieß aber nicht, dass Trötsch nichts mit Drogen am Hut hatte. Experimente mit Aponeuron, Ephedrin und Kodeinphosphat hatte er schon einige hinter sich. Und dann besuchte ihn ja ab und zu sein Kumpel Piko aus Westberlin. Der betätigte sich dort als Dealer und schmuggelte ab und zu für Trötsch ein Bröckchen schwarzer Afghane oder Libanese über die Mauer.
Textfragmente von Trötsch aus seiner Liedermacherzeit:
Happy Day
Ach Du böser alter Alltag
hast mir mal wieder weh getan
Du bist so grau und ohne Licht.....
Die trauten sich wohl nicht zu klingeln
allein, weil ich im Ohr ein Ringlein trag.
Die lassen Formulare reden.
Verdammt, sind die denn überhaupt noch am Leben?
SED SED DDR
Kleine, dreckige Kinder spielen Räuber und Gendarm
anderes Lied:
Ich will, dass Menschen wieder miteinander reden lernen. Bunter Punk mit grüner Uniform. Wann das sein wird steht noch in den Sternen. Zu oft bestimmtes Denken durch die Norm.
Kalle Winkler war Liedermacher und hatte in seinem Repertoire auch einige Lieder von Wolf Biermann.
Den hatte man in den siebziger Jahren wegen seiner DDR-kritischen Lieder aus der DDR ausgebürgert.
Diese Demonstration von Macht hatte unter den verbleibenden DDR-Künstlern eine Spaltung sichtbar gemacht, je nachdem, ob man sich für oder gegen diese Ausbürgerung bemerkbar machte. Kalle trat ab und zu mit der viel bekannteren Liedermacherin Bettina Wegner auf. Er war mit Trötsch befreundet und man konnte Kalle in der Tute treffen.
Polizei und Staatssicherheit hatten ihn und sein Tun schon regelmäßig im Visier. Wer wie Kalle öffentlich Lieder von Wolf Biermann sang und ein selbst komponiertes Lied über die Berliner Mauer, stand als "Staatsfeind" auf einem sehr schrägen Brett.
wird fortgesetzt...