M. hat entschieden, dass er ohne die beiden Spritzen einer Tierärztin gehen kann. Der Kater liegt jetzt unter dem Bett in der hintersten Ecke, wo das von einem Stück dünnen, bemalten Stoff verhangene Fenster auf den Hof zeigt. Gerade hat Whisky gemauzt. Ab und zu hebt er sein Köpfchen und schleppt sich unter dem Bett ein Stückchen weiter. Dann fällt er wieder auf die Seite. Würde es dem sterbenden Kater gelingen, sich in die dunkle, kühle Zimmerwand zu wühlen, würde er es vermutlich tun.

Warum ist Sterben so schwer?

Wozu gibt es diesen Kampf?

Vor zwei Tagen fand ich Whisky draussen auf dem Hof. Er lag auf einem alten Möbelstück gewärmt von einigen Strahlen der noch dünnen Aprilsonne.

Als er mich sah, hob er vorsichtig seinen  Kopf und krächste wie ein Rabe.

Ich trug ihn die hölzerne Treppe hinauf in Mitas Wohnung. Von der Milch, die ich ihm hin stellte kostete er nur einen kleinen Schluck. Seine Nase stupste noch kurz meine Hand an, bevor der Kater weiter zu einer Wasserschüssel taumelte.

Er schleckte ein paar Tropfen und fiel nach ein paar unsicheren Schritten bei denen er seine Hinterbeine mittels der Vorderläufe hinter sich herzog für ein Weilchen auf die Seite. Heute ist Donnerstag. Der Frühling macht einen weiteren Anlauf, den verregneten Wind in der Stadt abzulösen.

Hätte ich den sterbenden Kater am Wochenende einfach draussen liegen lassen sollen? Auf dem Platz, den er sich selbst ausgesucht hat?

Wieviel von dem, was man jetzt tut, tut man für den Kater? Ich habe mich um hier zu sein krank gemeldet und deswegen ein schlechtes Gewissen. Was nutzt es überhaupt jetzt hier zu sein?

Könnte ich jetzt Whisky im Arm halten, bis sein letzter Moment kommt, würde es mir besser gehen. Aber um mich geht es an diesem Vormittag nicht. Der Kater liegt in seiner Ecke unterm Bett und ihn stört womöglich meine Nähe. Gerade habe ich wieder ein Geräusch gehört, dass wie ein Klagen geklungen hat. Es könnte aber auch mein grummelnder Magen gewesen sein. Essen will ich jetzt nichts.

Ich möchte jetzt Whisky im Arm halten und zusammen mit ihm einschlafen.

Aber es geht heute Vormittag nicht um mich.

 

Freitag

Whisky hat noch eine Nacht gelebt. Er verliess noch einmal sein dunkles Versteck unterm Bett, um mit verlöschenden Blick auf ein Foto zu gucken.

Und heute am Morgen danach hat mir Mita ein Foto von Whisky geschickt. Auf dem Bild liegt der kleine Kater auf der Seite und guckt nun ins Leere oder dorthin, wohin ihm meine Blicke nicht folgen können.

Die Stadt ist viel zu laut. Autos rauschen geschäftig durch die Strassen. Menschen führen ihre Hunde spazieren.

Warum hält die verdammte Stadt nicht für ein paar Momente die Fresse, damit ich in meine Trauer lauschen kann?

Na ja, es geht nicht um mich.